Es war Sommer und Gloria-Sophie Wille tat das, was andere im Winter tun: Sie verbrachte ihn exzessiv häkelnd. Doch sie häkelte nicht Mützen und Schals, wie andere es tun. Sie häkelte ein Brautkleid. Ein Brautkleid im Hippie-Look. Altbacken? Ganz und gar nicht. Herausgekommen ist ein Kleid, dessen wollweiße Spitze von der Taille aus den Körper bis zum Boden hinunter fließt. Dort sammelt sie sich zu einer kleinen Schleppe. Ein Hingucker sind die kleinen Puffärmel und die zierliche Knopfreihe am Rücken. Nicht nur Romantik steckt im Kleid. Auch Pragmatismus. Denn Gloria-Sophie denkt übers Heiraten hinaus: Das Brautkleid ist ein raffiniert kaschierter Zweiteiler, Rock und Oberteil können nach dem großen Tag auch unabhängig voneinander getragen werden.

Häkeln neu erwacht
Das Spontanprojekt hat Gloria-Sophie so viel Spaß gemacht, dass sie die Nadel nach der letzten Masche nicht aus der Hand legte, sondern Outfits für die gesamte Entourage der Braut häkelte – für die Blumenmädchen und zumindest eine Krawatte für den Gatten. Die Trauzeugin trägt ein schwarzes Minikleid, hochgeschlossen, mit Spitze im Dekolleté.

Die Häkel- und Strickeuphorie ist in den vergangenen Jahren international wieder erwacht. Lange Zeit war Häkeln und Stricken out. Junge Leute dachten dabei an Ringelsöckchen strickende Omas oder an ihre 68-Mütter, die sich damit die Vorlesungen vertrieben. Jetzt häkeln und stricken Männer und Frauen in , die es mittlerweile vielfach gibt.
Wollläden haben ihr Sortiment an die junge Kundschaft angepasst und Designer toben sich mit Wolle aus. Die Boshi-Mützen-Erfinder Thomas Jaenisch und Felix Rohland, ein Informatiker und ein Wirtschaftswissenschaftler aus dem fränkischen Hof, haben sich an die Spitze der Maschenbewegung gehäkelt. Seit 2009 verkaufen die Jungs mit ihrem Label Mützen übers Internet. Der Kunde kann sie selbst konfigurieren. Längst häkeln 40 Häkelomas aus der Region auf 400 Euro-Basis für das Start-Up. 2012 erschien das erste Boshi-Buch mit Anleitungen.

Gloria-Sophie schaut durch eine Oma-Brille, wie sie langsam wieder »in« werden, ihr Pony ist so kurz wie Streichhölzer. Sie ist aufgeweckt, lacht oft, redet viel und wirkt entspannt. Die 27-Jährige wohnt gerade in Nantes, am west-französischen Atlantik, verdient ihr Geld mit Kinderhüten, Putzen und bald auch mit Musik. Im Juli treten sie und eine Freundin mit selbst komponierter Singer-Songwriter-Musik auf. Währenddessen saugt Gloria-Sophie Kultur und Sprache auf.
Nantes war auch eine Spontanaktion. Sie hörte ständig das Lied „Nantes“ der US-amerikanischen Band Beirut, radelte von Bordeaux in die besungene Stadt, und blieb. Genauso war’s mit dem Kleid. „Ich wohnte gerade in Oldenburg, hatte einen miesen Job, mal wieder Fernweh und suchte irgendwie nach dem Sinn.“. Rauf und runter hörte sie das Album „What did you expect from the vaccines?“ von der gleichnamigen Band. „Mein eigentliches Lieblingslied darauf war ‚The wetsuit’, das zweite ‚All in white’.“ Da kam ihr die Inspiration zu dem Kleid. „Eigentlich hätte es ein Taucheranzug werden müssen, aber das zweite war irgendwie passender.“ Es geht um eine verlorene Liebe und das Bedauern, dass es nicht geklappt hat. „Ja, manche Menschen treffen Entscheidungen aufgrund von Jobs, Beziehungen, Studium. Ich hör lieber Musik und denke mir: Na, häkelst das Lied mal. Oder ziehst mal dahin, weil‘s ein schönes Lied drüber gibt.“

Gloria-Sophie macht sich die Welt, wie sie ihr gefällt und bleibt auch da, wo es ihr gefällt. Oldenburg war nur eine Station. Davor jobbte sie in Chicago in der Kulturabteilung des Goetheinstituts, lebte kurz in New York, wo sie, wie sie sagt, von all den Hipstern und Künstlern beeinflusst wurde, mit denen sie ihre Zeit verbrachte. Ganz am Anfang, nach dem Abi, studierte sie in Osnabrück BWL, wo sie auch herkommt, dann Soziologie und Politik. Sie verbrachte ein Semester in Südafrika, reiste zwei Monate lang in Swasiland herum. Auf einem Markt in Swasiland entdeckte sie ihre verschüttete Leidenschaft wieder. „Eineinhalb Stunden lang unterhielt ich mich mit einer Verkäuferin an ihrem Häkelmützen-Stand. Zuhause zeigte ich meiner Mutter die gekauften Mützen und sagte: Zeig mir, wie’s geht.“ Schon bald verkaufte sie selbst Mützen an einem Marktstand, auf dem Osnabrücker Nachtflohmarkt.
Ihre Hände ruhen nie. „Seit 2011 trage ich jeden Tag etwas Selbstgemachtes. Und wenn es nur die Socken sind.“ In Nantes sind bereits zwei neue Hochzeitskleider entstanden. „Diesmal sogar mit zwei gehäkelten Blumensträußen!“ Gloria-Sophie träumt davon, vielleicht irgendwann von ihrem Hobby leben zu können. „Mal schauen…Langsam“, sagt sie leise. Spannend fände sie es, in Zukunft mit Kundinnen gemeinsam deren individuelles Brautkleid zu entwerfen und dann auf den Leib zu häkeln. „Es gibt einen Markt dafür!“ Leider musste sie aber auch feststellen, dass viele Menschen ihre Kleider toll finden, aber keine 400 Euro bezahlen wollen. Weniger will sie nicht verlangen, schließlich steckt darin Wochen lange Arbeit.

Und sie? „All in white“ – oder „Ganz in Weiß, mit einem Blumenstrauß?“, wie Roy Black 1966 sang? „Hah!“ Daran denkt sie nicht. „Ich häkle keine Hochzeitskleider, damit ich schneller vom Markt weggeheiratet werde. Ich habe auch keinen Freund.“ Ich liebe einfach Hochzeiten und Kleider. Sie sind für mich wie Kunst. Ich trage nicht oft welche, aber sehe sie mir gerne an. „Heiraten – das sollen andere machen.“ Sie gluckst. Frauen sollen Frauen heiraten, Männer Männer, oder eben Frauen Männer.
Gloria-Sophie Wille häkelt mit Neueinsteigern und Fortgeschrittenen beim Oldenburger Freifeldfestival (www.freifeld-festival.de), das von 14. bis 17. August stattfindet. Es wird auch einen Upcycling-Kurs geben, in dem verschlissene Klamotten häkelnd aufgehübscht werden.
Zweiteiler Hochzeitskleid – Zweiteiler Hochzeitskleid