Keusch und glücklich: Der Purity-Ball-Gründer Randy Wilson mit seiner Frau, den gemeinsamen Kindern, Schwiegertöchtern, Schwiegersohn und Enkel. Media einigen Jahren lernte ich eine junge Amerikanerin kennen, die einen ganz speziellen Ring trug: einen «Purity Ring» oder Reinheitsring. Sie und ihr Verlobter hatten sich verpflichtet, bis zur Eheschliessung absolut keusch zu bleiben. Mit «absolut» meinte sie keine Zungenküsse, kein Petting, kein gar nichts. Und weil diese totale Enthaltsamkeit nicht immer einfach war, sollte der Ring sie in Augenblicken der Schwäche an ihr Gelübde erinnern und gleichzeitg als Symbol der Vorfreude für «den grossen Moment» dienen.

Die Purity-Bewegung, die Sex erst in der Ehe erlaubt, zieht in den USA mittlerweile weite Kreise: Eines von acht Mädchen zwischen 8 und 18 Jahren legt ein Keuschheitsgelübde ab und verpflichtet sich, «rein» in die Ehe zu gehen. Und es werden immer mehr. Inzwischen bilden die evangelikalen Christen, welche sich streng an der Bibel orientieren und für äusserst konservative Werte einstehen, die stärkste religöse Gruppierung der USA – was nicht zuletzt im akutellen Präsidentschaftswahlkampf zu spüren ist.
Die Schweizer Filmemacherin Mirjam von Arx hat sich während zwei Jahren intensiv mit dem Thema befasst. Sie begleitete die Vorzeige-Keuschheits-Familie Wilson durch ihren Alltag. Daraus ist der Dokumentarfilm «Virgin Tales» entstanden (Kinostart Anfang Mai). Vater Randy Wilson ist berühmt für die von ihm vor rund zwölf Jahren gegründeten «Purity Balls»: Vater-Tochter-Bälle, an denen beide ein schriftliches Versprechen abgeben, alles zu tun, um die Keuschheit des Mädchens bis zur Ehe zu bewahren. Für die Tochter bedeutet dies, ihre Jungfräulichkeit zu bewahren, für den Vater, als Ehemann und Vater weiterhin rein und integer zu bleiben, also ein Beispiel für ein tadelloses Leben zu geben.

Wer sich die Wilsons als einen komplett prüden und verklemmten Haufen vorstellt, irrt allerdings. Von Arx war erstaunt, wie «locker und ungezwungen» innerhalb der Familie über Sex oder Lust gesprochen wurde. «Die Wilsons verteufeln den Sex nicht, im Gegenteil, sie finden Sex wunderbar — und genau darum sollte er nur innerhalb der Ehe zelebriert werden. Weil er etwas ganz besonderes ist.»
Die Keuschheitsbewegung, die in den USA ihren Ursprung hat, hat längst Europa und auch die Schweiz erreicht. Jüngstes Beispiel ist der aktuelle Mister Schweiz Luca Ruch, der ebenfalls auf Sex verzichtet. Wie freiwillig er dies tut, ist aber fraglich, denn er hat im Prinzip keine Wahl: Seine Freundin Daniela Niederer ist Mitglied der evangelischen Freikirche Chrischona, Sexualität vor der Ehe ist nicht erlaubt.

Keinen Sex vor der Ehe: Mister Schweiz Luca Ruch mit seiner Freundin Daniela Niederer. (Keystone)
Und gerade weil das Thema Keuschheit vermehrt auch bei uns Anhänger findet, ist es der Regisseurin von «Virgin Tales» ein Anliegen, mit ihrem Dokfilm auch die Diskussion über Sexualpolitik anzuregen. «Ich war mitten in der Schnittphase, als im letzten Herbst die ‹Petition gegen die Sexualisierung der Volksschule› eingereicht wurde», sagt von Arx, «das ist bedenklich, denn Teenager sollten unbedingt aufgeklärt werden.» (Lesen Sie auch: Ab wann soll die Schule aufklären).

Dass gerade in der jetzigen Zeit, in der Sexualität und Pornographie schon fast allgegenwärtig zu sein scheinen, eine Gruppierungen wie die Purity-Bewegung auf Interesse stösst, scheint schon fast eine logische Konsequenz zu sein. Und dass eine Petition, die Eltern das Recht gibt, «ihre Kinder jederzeit und ohne nähere Begründung vom klar eingegrenzten Sexualkunde-Unterricht dispensieren zu lassen» innerhalb von knapp drei Monaten 91’816 Mal unterschrieben wird, verwundert auch nicht. «Die herrschende Übersexualisierung verunsichert viele junge Menschen», sagt Mirjam von Arx. «Da ist es schon möglich, dass junge Menschen mit einem Keuschheitsgelübde Halt suchen.»
Und für den Fall, dass ein hormongesteuerter Teenager sich für einmal doch nicht beherrschen könnte und von der verbotenen Frucht kostet, hat die Purity-Bewegung eine Lösung auf Lager. Zwar muss der oder die Abtrünnige ein kleines Downgrade in Kauf nehmen, doch verhindert sie den kompletten Ausschluss und damit verbundene Versagensgefühle: Man ist ab sofort nur noch «Secondary Virgin» — darf aber weiterhin den Weg der Keuschheit gehen und sich auf die Nacht der Nächte freuen.
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