In Landshut heiraten sie bald wieder – und das vor 600 000 Hochzeitsgästen. Denn das gigantischste Historienspektakel des Landes steht an: die „Landshuter Hochzeit“. Ein Besuch bei der Braut, die die letzten Perlen an ihr Kleid näht und erklärt, warum eine echte Lands-huterin immer zweimal im Leben heiratet.

In Landshut heiraten sie bald wieder – und das vor 600 000 Hochzeitsgästen. Denn das gigantischste Historienspektakel des Landes steht an: die „Landshuter Hochzeit“. Ein Besuch bei der Braut, die die letzten Perlen an ihr Kleid näht und erklärt, warum eine echte Lands-huterin immer zweimal im Leben heiratet.
Von Stefan Sessler
Hoppala, was für ein wunderbarer, seltsamer Anblick: Die Königstochter näht heute selbst. Und zwar das Kleid aller Kleider – ihr Hochzeitskleid. Keine Spur von adeligem Übermut. Hier in Landshut nehmen die feinen Damen noch selbst Nadel und Faden in die Hand. Denn es pressiert, in zwei Monaten muss die 20-jährige Königstochter mit den langen dunkelblonden Haaren heiraten, darf sie heiraten. Zu ihrer Hochzeitsfeier werden über eine halbe Million Gäste erwartet. Eine Sensation.
Ein gigantisches Spektakel naht. Bayerns Hochzeit des Jahres.
Gerade bringt sie Perlen an ihr rotes Kleid mit den Gold-Stickereien an. Sie sitzt in der Nähstube, um sie herum allerlei edle Stoffe, zur Rechten eine Schere, hinter ihr Nähmaschinen und Schränke voller goldener Bänder und glitzernder Herrlichkeiten. Aber die Königstochter liegt spitzenmäßig in der Zeit: Das Kleid ist so gut wie fertig. Natürlich ist die junge Frau, die gerne lacht, keine echte Königstochter. Selbst hier in Niederbayern haben sie inzwischen die Monarchie abgeschafft. Die junge Frau heißt Vroni Härtl, will demnächst Soziale Arbeit studieren und ist heuer die berühmteste Frau Landshuts: Vroni Härtl spielt die Braut bei der „Landshuter Hochzeit 1475“, sprich sie spielt die polnische Königstochter Hedwig, die den Landshuter Herzogssohn Georg heiraten wird.

Insgesamt werden über 2300 Einheimische aus der Stadt und dem Landkreis bei dem weltberühmten Historienspiel mitmachen. Ganz Landshut wird sich für vier Wochen zurück ins Spätmittelalter schießen. Und das mit größter Freude. Mit Inbrunst und vollem Körpereinsatz.
Geht man durch die Altstadt, dann trifft man immer wieder auf Menschen mit merkwürdigen, irgendwie aus der Zeit gefallenen Frisuren: Viele Damen tragen ihre Haare wallend lang. Die Herren der Schöpfung ebenfalls – als ob die örtliche Friseur-Innung grad den Sir-Lancelot-Langhaar-Gedächtnispreis ausgelobt hätte. Zu ihrem eigenen geschäftlichen Nachteil. Denn Friseur will man in Landshut grad nicht sein: keine Kundschaft weit und breit. Sämtliche Hochzeitsdarsteller lassen grad wachsen, was die Haarwurzel hergibt. Soll ja alles echt aussehen, historisch authentisch, wenn am 28. Juni um 18 Uhr die größte Historien-Veranstaltung der Republik beginnt. Dabei sind Kurzhaarschnitte streng verboten.
Königstochter Vroni fieselt noch ein bisserl an ihrem Kleid rum, überprüft die Perlen ein letztes Mal, dann legt sie die Nadel beiseite und sagt: „Ich glaub’, ich hab’s.“ Der letzte Stich ist gestochen. Ein magischer Moment. Es kann geheiratet werden. Die Braut frohlockt, packt ihr Kleid und geht in den Nebenraum. Zur Anprobe. Man will ja wissen, ob alles sitzt und ob man – Spieglein, Spieglein im Nebenraum – womöglich sogar die Schönste im ganzen Lande ist.
Ja, so eine Landshuter Hochzeit ist schwer aufregend. Aber natürlich anstrengend. Donnerstag und Samstag hat die Braut Tanzunterricht, hinzu kommen öffentliche Auftritte, Anproben, Interviews, und wenn Vroni Härtl durch die Stadt geht, muss sie alle paar Meter für einen kurzen Ratsch stoppen. Manchmal sprechen sie wildfremde Menschen an. „Ach schau, die Braut. Wie geht’s Ihnen? Schon aufgeregt?“
Die Landshuter Hochzeit wird nur alle vier Jahre aufgeführt, seit 1903 machen die Einheimischen das schon. Es ist das Superereignis, und wer vom Besetzungsausschuss als Braut auserkoren wurde, der ist Stadtstar für ein Jahr. Der kann ein Leben lang von diesem Sommer erzählen. Weißt noch: 2013, die goldenen Schuhe, das Kleid, die Krone, Besucher aus aller Welt, unvergesslich. So ungefähr.

Was Vroni gerade erleben darf, ist natürlich nicht vergleichbar mit dem, was ihr historisches Vorbild, die 18-jährige polnische Königstochter Hedwig, damals durchmachen musste. Ihre Hochzeit wurde 1474 durch allerlei Gesandtschaften ausgehandelt. Es ging keineswegs um die große Liebe – es ging um große Politik. Um die Zukunft Europas. Die Verbindung des bayerischen Fürstenhauses mit dem polnischen sollte ein Gegengewicht zur Macht der Türken bilden. Da hatte eine 18-jähriges nichts mitzureden. Ihre Brautfahrt über holprige Straßen dauerte dann auch zwei Monate, bis sie endlich von Krakau kommend in Landshut gelandet war.
Vroni Härtl hat es da leichter, besser: Sie kennt ihren Bräutigam, schon seit dem Sandkasten, ist aber nicht mit ihm liiert – sie ist schon anderweitig vergeben. Der Bräutigam heißt Ferdinand Schoßer, ist 21 Jahre alt, natürlich Landshuter und Architektur-Student. Schon sein Uropa Josef Wimmer und seine Uroma Luise Bücherl gaben 1930 das Brautpaar. Sie waren das einzige, das auch im echten Leben gemeinsam vor den Altar trat. Manchmal wird in Landshut aus Spiel sogar Liebe. Hach, wie romantisch.
Vroni, die Braut, ist inzwischen vom Umkleiden zurück. Sie hat ihr Kleid an, ihr verehrungswürdiges Kleid mit der meterlangen Schleppe. Zielstrebig steuert sie einen Spiegel im Nähzimmer an. Sie dreht sich nach links, nach rechts, noch mal nach links und sagt, was überglückliche Königstöchter dem Vernehmen nach seit ewigen Jahrhunderten sagen, wenn die eigene Garderobe einen umhaut. Nämlich das: „Voll schön.“
Die Braut ist wunderhübsch, keine Frage. Aber sie ist nicht die einzige niederbayerische Mittelalter-Schönheit: Im Zeughaus, dem Hauptquartier der Hochzeit, gleich gegenüber vom alten Gefängnis, lagert ein Schatz. Die Kostüme, 2600 an der Zahl. Jedes ein kleines, handgefertigtes Kunstwerk. Zwischen den Hochzeiten kümmert sich eine festangestellte Schneiderin um die Stücke, bessert aus, näht Knöpfe und schneidert neue Kostüme. Manche sind dermaßen opulent, dass man auf der Stelle Landshuter werden möchte, damit man wenigstens einmal im Leben in so ein Gewand schlupfen darf.
Allein beim Kostüm von Kaiser Friedrich III., auch einer der historischen Hochzeitsgäste, kostet der Stoffmeter 1000 Euro. Material: Samtbrokat. Allerdings wiegt das Stück auch gute 25 Kilo. Für den Friedrich-Darsteller wird der Hochzeitszug kein Spaß werden, sondern schweißtreibende Arbeit. Der Kaiser sollte schon mal für milde Temperaturen beten.

Der Verein, der das millionenteure Spektakel mit seinen Reitturnieren, den historischen Bauten, dem Tanzspiel und den Fechtwettkämpfen in der ganzen Stadt aufführt, nennt sich „die Förderer“. Dahinter steckt eine gewaltige Organisations-Maschinerie, viele Dutzende Helfer und ein Berg voller Arbeit. Schon die Ausgabe der Kostüme ist ein logistischer Großakt. Jede Darsteller-Gruppe hat einen eigenen Termin. Es gibt polnische Hofdamen, Schalmeienbläser und fahrende Komödi-anten, Falkner, Feuerschlucker, Edeldamen größer als 1,67 Meter, Edeldamen kleiner als 1,67 Meter, die Wachen des Brautwagens, die Ritter mit ihren Rüstungen und viele mehr.
Alles soll echt sein, historisch korrekt, dafür forschen die Hochzeitsmacher hartnäckig in alten Quellen. Mit dem einen Ziel: dem Fest von 1475 so nah wie möglich zu kommen. Die Krone der Braut zum Beispiel war ganz am Anfang des Historienspiels ein froschkönigartiges Mini-Krönchen. Inzwischen weiß man: Die Landshuter Braut verdient was Größeres, Opulenteres, Goldeneres. Das haben die Hochzeitsmacher auf historischen Bildern entdeckt. Sie haben sofort eine neue Krone anfertigen lassen. Ehrensache.
Vieles kann man in alten Schriften rauskriegen. Das Wichtigste nicht: Wie es sich anfühlt, Braut zu sein. Wie Braut geht. Vroni hat sich zusammen mit ihrem Bräutigam kürzlich mit dem Vorgängerpaar von 2009 getroffen. Dabei hat sie unbezahlbare Tipps bekommen. Den Tipp zum Beispiel: Beim roten Hochzeitskleid auf keinen Fall die Haare offen tragen, sieht doof aus. Und den: Nicht auf dummes Geschwätz hören. Einige Landshuter Damen sind eifersüchtig auf Vroni, auf ihre Rolle. Sie lästern schon mal über Frisur und Schminke.
Bloß nicht drauf hören, nicht verrückt machen lassen, hat die Vorgänger-Braut gesagt, das ist der Trick. Und dann gibt es vielleicht noch einen letzten: genießen. Schließlich heiratet eine Landshuter Braut nur zweimal im Leben. Einmal die echte Liebe, aber davor, das muss so sein, ihren Georg, den edlen Herzogssohn.
Das Programm

Die „Landshuter Hochzeit 1475“ beginnt am 28. Juni und dauert bis zum 21. Juli. Karten für einzelne Veranstaltungen gibt’s ab elf Euro. Genaue Informationen unter www.landshuter-hochzeit.de
Kleider Für Eine Hochzeitsfeier – Kleider Für Eine Hochzeitsfeier